Wäre Bukarest ein Tier, es wäre wohl ein Elefant. Nicht der freundlich-tapsige Dumbo, sondern einer dieser traurigen, leicht gestörten Zirkuselefanten. Groß, grau, behäbig, und in der Seele irgendwie zerstört. So begegnete uns Bukarest im Winter. Die rumänische Hauptstadt war Destination Nummer 14 auf unserer EU-Silvestertour, die uns mit unseren besten Freunden aus Berlin Jahr für Jahr in eine andere EU-Hauptstadt führt. Bukarest – eine Station, die gemischte Gefühle hinterließ. Zum einen war es eines der gechilltesten, harmonischsten Silvester seit Jahren mit viel Lachen, Spaß und schönen Momenten – ohne Sightseeing-Stress für die Kinder. Zum anderen war es ein Silvester in einer Stadt, die einfach nur fertig wirkt. Erst wenn man genauer hinschaut, wird ein gewisser Charme an manchen Ecken der Stadt sichtbar. Urlaub in Bukarest im WederCheck.
Urlaub in Bukarest zu Silvester: Wo sind nur alle hin?
Schon nach der Landung am Flughafen Henri Coanda in Bukarest (wir haben den WederVan diesmal eine Auszeit gegönnt und an einem schönen Plätzchen am Flughafen in Wien geparkt) die große Frage: Wo ist all der Trubel? Wo sind sie nur alle hin, die Bukaresti? 2 Millionen sollen es sein, die siebtgrößte Stadt der EU. Von Touristen noch gar nicht zu sprechen. Wir hatten uns auf hektische Betriebsamkeit eingestellt in solch einer Millionenmetropole. Noch geprägt von den Sommererfahrungen unserer #CEEtour17 und Städten wie Tirana, Skopje oder Belgrad. Aber irgendwie war kurz nach Weihnachten beim Urlaub in Bukarest gefühlt weniger los als in Klagenfurt. Und wer schon mal zwischen den Jahren in Klagenfurt war, weiß, was das bedeutet. Haben wir alle verschreckt? Ala “Vorsicht, die Weders kommen, nur weg von hier”?
Die erste Verwunderung wich großer Begeisterung. Herrlich, wenig Menschen bedeutet viel Platz für uns. Entspanntes Stadtentdecken. Um gleich darauf wieder ernüchtert zu werden. Die Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt mit dem Bus ist nämlich alles andere als einladend, zumindest für uns: Große, weite Alleen heißen viel Weg für die stapfbegeisterten Weders. Dazu heruntergekommene Bauten, grau in grau. Da nutzten auch die ersten Prunkbauten, an denen der Schnellbus der Linie 783 vom Flughafen vorbeifährt, wie der Triumphbogen nicht viel. Einladend geht anders.
Paris des Ostens – wirklich?
Bukarest wird ja auch gerne als “Klein-Paris” oder “Paris des Ostens” bezeichnet. So richtig klar, warum das so ist beziehungsweise heute noch gilt, wurde uns das nicht. Zumindest nicht in der Gesamtheit. Am ehesten noch in der Innenstadt mit dem Lipscani-Viertel, also dem “Leipziger Bezirk”, wo noch die einen oder anderen schicken Gebäude aus Zeiten der österreichischen Monarchie und kleinen, charmanten Einkaufspassagen den früheren Charme der Stadt erahnen lassen. Dazwischen Synagogen und Kirchen. Süß-mondän.
Hier sind auch einige nette Cafés und Kneipen, die wir aber Kinder-bedingt am Abend ausgelassen hatten. Ebenso wie das Bierlokal Caru cu Bere, das mich mit seinem Flair mit der Kombi “Wiener Café Central meets Münchener Augustinerkeller” schon sehr gelockt hätte. War aber Silvester leider aufgrund privater Gesellschaften für uns nicht offen. Und als es dann offen gewesen wäre, waren wir – ebenfalls silvesterbedingt – nicht so fit und nicht mehr so auf Bier eingestellt. Sollte nicht sein.
Bukarests spezielle Mischung
Dort, an den wenigen Stellen der Innenstadt, wo Modernität im Stadtbild von Bukarest Einzug gehalten hat, entsteht oft eine spannende Mischung mit skurrilen Auswüchsen. Alt trifft Neu, Rumänien-Style. Mit Glaspalästen hinter klassizistischen Fassaden, Filmkulissen gleich. Erobert und eingenommen von “westlichen”, ausländischen Hotel-, Versicherungs- oder Bankenketten.
Das Stadtbild im Ganzen prägt das jedoch kaum. Vielmehr sind dies Ausreißer, einzeln verhübschte Plätze im Zuckerwatte-Stil inmitten sozialistischer Plattenbau-Realität. Ein Blick um die nächste Straßenecke und du bist wieder weg von der metropolitanen Plüsch-Touri-Welt zurück im Bukarester Alltag. Geprägt von extremer Armut, wie wir sie auf unserer gesamten #CEEtour17 nicht in solcher Vehemenz erlebt und gesehen hatten.
Auch hier offenbarte sich uns bei unseren Stadtspaziergängen durch die Innenstadt und entlang der dreispurigen Einfahrtsalleen in die Stadt die skurrile Mischung Bukarests: Während in den Hauseingängen grauer Wohnblöcke die Obdachlosen liegen, um sich vor der Kälte in den winterlichen Nächten zu schützen, schweben darüber in gigantischer Größe auf Megaplakaten an den Hauswänden die klebrig-weihnachtlichen Werbeplakate von Coca-Cola & Co.
Dazu tauchen keine hundert Meter weiter Bankomaten auf. Nicht vereinzelt, sondern wie Perlen auf einer Schnur hintereinander aufgereiht. In einer Dichte, die die Frage aufwirft, wer denn bitte inmitten dieser Armut diese wirklich nützen soll. Die Antwort folgte wie auf dem Silbertablett präsentiert: In Form hypermoderner Shoppingtempel wie das AFI Cotroceni. Mit Geschäften und Kinos wie überall, dazu noch mit Kindermagneten wie Indoor-Erlebnisspielplatz, Kletterseilgarten mit Flying Fox, Eislaufplatz, Spielewelt und Achterbahn. Irgendwie eine eigene Welt in einer anderen Welt drumherum. Fast unwirklich. Und der gefühlt einzige Platz zwischen den Jahren während des gesamten Urlaub in Bukarest, wo wirklich etwas los war. Für die Kids im Nachhinein ein Highlight. Für uns im Nachhinein ein Fehler, mit den Jungs dort reingegangen zu sein. Aber sollte so sein.
Kein Aufbruch zu spüren
Möglich wäre sicher einiges in Bukarest. Wäre. Wenn sich nur irgendwer drum kümmern würde. Macht das wer? Die nächste Frage, die unbeantwortet blieb. Das Gefühl bei unserem Urlaub in Bukarest war jedenfalls ein Nein. Wenn sich eben nicht gerade eine ausländische Hotel- oder Bankenkette oder maximal noch eine staatsnahe Institution in eines der herrschaftlichen Gebäude eingenistet hat, herrscht weitestgehend Tristesse. Graffiti besprühte Fassaden, Sprünge, Risse, schiefe Balkone, abbröckelnder Putz. Grandiose Bausubstanz total am Sand. Vergessener alter Charme. Und von “Aufbruch” wie in anderen Balkan-Städten wie Tirana oder Skopje nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Soll es nicht sein?
Das Haus des Volkes – Ironie in sich
Auch bei der Hauptattraktion von Bukarest, dem Parlamentspalast, dasselbe. Hier spiegelt sich ebenfalls die Ironie des Bukarester Stadtalltags wider. Zumindest so, wie ihn wir erlebt haben. Fett, groß, herrschaftlich wirken wollend. Prunkvoll gedacht, doch grau und in die Jahre gekommen. Hier in Form einer Herrschaftsarchitektur aus der Feder des früheren Staatspräsidenten und kommunistischen Diktators Nicolae Ceausescu. Zugegeben: Wirkt imposant, wenn man davor steht. Zweitgrößtes Verwaltungsgebäude der Welt nach dem Pentagon. Und dazu dank verbautem Marmor auch eines der schwersten.
Aber wie so vieles in Bukarest ist auch der Parlamentspalast an vielen Ecken und Enden ziemlich fertig. Kein Wunder, bei der schieren Größe. Wer soll denn das alles in Schuss halten. Dazu birgt dieses architektonische Monstrum pure, gleichzeitig irgendwie bezeichnende Ironie in sich. Der Palast hat mit einem glitzernden Palast heute ebenso wenig gemein wie es das symbolisiert, als was es zu Diktator-Zeiten tituliert wurde: “Haus des Volkes”. An Silvester waren wir ein wenig “Volk”, touristisches in unserem Fall. Und ausgesperrt. Für uns blieb das Haus des Volkes geschlossen. Kein Einlass, keine Führungen zwischen den Jahren, wie uns einer der äußerst präsenten Wachmänner erklärte. Auch hier: Sollte nicht sein.
Urlaub in Bukarest zu Silvester: Fazit
Sollte Bukarest also nicht sein? Würden wir empfehlen, Urlaub in Bukarest zu machen? Wenn ich mir das oben selbst noch einmal durchlese, müsste hier wohl ein klares Nein stehen. Spannend ja, aber lohnenswert? Die Sehenswürdigkeiten sind überschaubar, die Attraktionen für Kinder ebenfalls.
Doch ist ein Nein als Fazit gerecht? Der Kurztrip zu Silvester waren insgesamt superschön und entspannt, Bukarest selbst grau und uncharmant. Aber jeder hat mal schlechte Tage. So auch Bukarest? Winter, nass, kalt, grau, klar. Ist so an Silvester. Die Parks, die gerade im Sommer locken sollen, gab es deshalb für uns nur mit kahlen Bäumen und matschig-braunem Untergrund jenseits der Gehwege. Dazu ein Bukarest ohne Menschen, wie verschlossen wirkend. War das wirklich schon alles?
Irgendwie habe ich das Gefühl, der Stadt noch eine zweite Chance geben zu wollen. Mit Kindern. Dem verschütteten Charme noch einmal auf der Spur. Auch wenn mir klar ist: Ein Dumbo wird so schnell aus Bukarest keiner.