Es war diese Art von Ausflug, die wir lieben: Kurze Anreise aus Tirana, rumstapfen, anschauen und lernen, staunen, weiterfahren. Roadtripping par excellence. Kruja heißt die Stadt, die Burg ist. Eigentlich nur Burg ist. Die allerdings ist rausgeputzt. Nicht ein Hauch von “shabby-chic Albanien” weht hier. So “toury” wie es touristischer kaum geht. Kruja, das albanische Graceland. Und alles fokussiert auf einen Mann: den albanischen Volkshelden Skanderbeg. Also auf den, der alle platt macht, wie Kaspar es so treffend formulierte.
Herausgeputzt
Idyllisch schlängelt sich die Straße den Berg hinauf. Richtung Kruja. Immer, wenn ein Jammern aus den hinteren Reihen des WederVans zu hören ist mit den Worten “mir wird schwindelig”, bedeutet das gleichzeitig für mich als Fahrer vorne: Das macht Spaß. Gut, bevor sich unangenehmer Geruch im Wageninneren ausbreitet, schalte ich dann meist doch lieber einen Gang zurück. Aber das Kurvenfressen mit unserem T5 ist schon ganz in Ordnung. Trotz zwei Tonnen Lebendgewicht. Des Autos, nicht des Fahrers.
Kruja jedenfalls machte schwindelig. Aber erst nach dem Aussteigen auf dem Parkplatz, auf den uns zwei energisch winkende Einweiser gelotst hatten. Denn schon an der nächsten Ecke öffnete sich der Blick auf einen echten Traum von Burg. Imposant am Bergrücken gelegen. Hübsch rausgeputzt, renoviert, neu gebaut. Ganz anders als die anderen Ruinen und Festungen, die wir sonst in Albanien zu Gesicht bekamen. Ganz anders auch als die trubelige Stadt selbst mit einem längs gezogenen Hauptplatz, auf den wir uns zuvor kurzfristig verfahren hatten.
Kruja: Touristen(hoch)burg
Der nächste Blick weg von der Burg war weniger imposant. Eher albanisch-pittoresk. Oder abschreckend, je nach Standpunkt. Er führte vorbei an Restaurants mit Schildern, von denen dich das Essen bildlich anspringt. Die Auswahl auf der Karte vielleicht insgesamt mit etwas mehr Gegrilltem. Sonst aber gefüllt mit Touristenklassikern wie auf Malle oder in Rimini.
Daneben Souvenirshops, wo ein Albanien-Mitbringsel sich an das nächste reiht. Mützen, Helme, Schwerter, Fahnen, Geklöppeltes, Doppelkopfadler in allen Formen, Postkarten und vieles mehr. Original natürlich. Made in Taiwan. Manche Händler machten sich nicht einmal die Mühe, die Dinge aus ihrem asiatischen Plastik zu pellen. Wer wirklich Handwerk will, muss weg von der Burg. Je weiter desto besser. Je weiter desto bazariger. Aber rund um die Burg as toury as it gets. Wem will man es verdenken. Und unsere Kids: Nein, die sprangen auf so viel Klimbim natürlich gar nicht an. Nein, unsere doch nicht. Überhaupt nicht. Wir haben es trotzdem noch zur Burg eine Etage höher geschafft.
Kult-Begegnung
Sobald wir das Eingangstor sowie die wartenden Einheimischen, die sich als privater Führer anboten, hinter uns gelassen hatten, tat sich die ganze Wucht dieses historischen Platzes auf. Eine echte Trutzburg. Stark, mächtig, herrschaftlich. Die wenigen Büsche im Park herrlich zurechtgestutzt. Die Wege fein säuberlich angelegt. Kanonen Foto tauglich drapiert. Hinführend zum Eingang des steinernen Kolosses. Hin zum Eingang in das Museum. Offiziell Muzeu Kombëtar Gjergj Kastrioti Skënderbeu. Ein Museum mit “Kultstatus”. Der Kult um den “Türkenkrieger” und albanischen Nationalhelden Skanderbeg.
Dieser springt einen gleich beim Eingang an. Bildlich gesprochen. Überlebensgroß in weißen Granit gehauen. Mit einem Sixpack unter dem Kettenhemd, der selbst Marcus Schenkenberg zu Ehren gereicht hätte. Steinhart, dieser Körper. Abgebildet war Skanderbeg gemeinsam mit seinen Mitkämpfern. Allesamt albanische Fürsten, die er trotz aller damals herrschender Feindschaften und Rivalitäten vereinen konnte. Vereinen gegen die Ottomanen. Ein Bündnis als früher Vorläufer der heutigen Republik Albanien.
Geschichtliches Sonderheft in Bild und Ton
Familienleben, Kriege, Bündnisse – alles, was rund um Skanderbeg interessant erscheint, wurde dann in der Burg verpackt. Sozusagen ein Skanderbeg-Sonderheft auf mehreren Etagen. Weniger kitschig, weniger amerikanisch als Graceland, das freakige 70er-Jahre-Zuhause von Jahrhundert-Rock’n’Roller Elvis im Memphis. Plakativ war es dennoch auch in Kruja.
Auch wenn nicht viel zum Anfassen und Mitmachen war, überzeugte die Ausstellung mit guten, Kind gerechten Info-Happen auf Englisch. Bildlich in Gemälden und Grafiken, mit Exponaten wie dem berühmten Skanderbeg-Helm und seinen Säbel oder auch als Film. Der war amüsant anzusehen, stammt er doch aus 1953.
Die deutsche Version des Skanderbeg-Schmachtfetzens ist tatsächlich komplett auf YouTube zu bestaunen. Liest man die Kommentare dort, zeigt sich das, was uns schon am gesamten Balkan begleitet hatte. Die Zerrissenheit der Kulturen. Der Streit um Gut oder Böse, um Grenzen und Zugehörigkeiten. Die Frage “was ist meins, was ist deins”. Sowohl beim Film, der sich den Vorwurf “kommunistischer Propaganda” gefallen lassen muss, als auch bei der Figur “Skanderbeg” selbst. Nationalheld für die einen. Schlächter und brutaler, berechnender Killer für die anderen.
Abenteuerspielplatz Museum
Diesen Kopf aber machten sich die Kinder nicht. Sie erlebten das Museum in Kruja für sich selbst. Kindgerecht einfach. Als historische Abenteuergeschichte. Fröhlich, interessiert, mit offenen Ohren und Mündern. Zwar gab es auch in diesem Museum ein paar Verbotsschilder oder Absperrbänder an Stempen. Die haben wir dann auch tatsächlich zielsicher mit einigen missglückten Seiltanzkunststücken, dafür einem geglückten lauten Scheppern umgelegt bekommen.
Der erhobene Zeigefinger aber wurde nicht ausgepackt. Das Scheppern wurde mit einem Lächeln quittiert. Die Stimmung unter den “Aufpassern” war sehr entspannt, hilfsbereit, zuvorkommend und verständnisvoll der einfallenden Weder-Horde gegenüber. Vermutlich auch, weil nicht wie in Tirana hier kaum Originale, sondern nur Replika ausgestellt waren. Und auch das kleine Anti-Unterzucker-hello-happiness-Picknick auf der Aussichtsterrasse wurde ebenso anstandslos geduldet.
So rau und blutig die Skanderbeg-Geschichte war, bei den Eintrittspreisen herrscht in Albanien definitiv kein Raubrittertum. 200 Lek, also rund 1,50 Euro pro Person sind gechillt und locker im Reisebudget enthalten. Kruja und das Skanderbeg-Museum waren spannend und gemütlich zugleich. Mit einem Hauch von Graceland in Albanien. Auf jeden Fall aber ein Ausflug aus dem Wederschen Reisebilderbuch.