Ich war im Konferenz-Dilemma. Nach Neuseeland fliegen, um dort einen Vortrag über Nachhaltigkeit zu halten? So viele Fragen, so viele Emotionen. Deshalb auch so viel Zeit, um zu überlegen. Viele Diskussionen, viele spannende Inputs, viele Gefühle und durchwachte Nächte später. Ich habe mich entschieden. Ich fliege! Nach Neuseeland! Für 10 Tage. Alleine. Klingt jetzt nicht gerade nachhaltig. Aber nur auf den ersten Blick. Denn für mich ist Nachhaltigkeit keine strikt moralische Kategorie, mit der ich mein “gutes” oder “schlechtes” Verhalten bewerten möchte. Für mich ist Nachhaltigkeit ein Mindset. Nachhaltig reisen, nachhaltig leben, nachhaltig handeln heißt weiter, größer denken als nur die Flugkilometer auf einen ökologischen Fußabdruck aufrechnen. Gedanken, wie ich zu meiner Entscheidung kam. Und was ich mit “Nachhaltigkeit als Mindset” meine.
Eine harte Entscheidung, nochmals härter
Ja, ich fliege nach Neuseeland. Alleine. Und nur für die eine internationale Konferenz. Für drei Vorträge zum Thema Nachhaltigkeit und Kommunikation. Und die Entscheidung war sogar noch komplexer als bei meinem ersten Blogbeitrag gedacht. Ganz gemein kam noch eine sehr spezielle Anfrage daher in Form eines möglichen 6-wöchigen, bezahlten Fellowships an der University of Canterbury. Heißt: Ein bisschen selber Forschen, in Vorlesungen eingebunden sein, sich mit Studierenden austauschen und ihre Forschungsarbeiten bereichern. Vor Ort, University of Canterbury, das heißt in diesem Fall Christchurch, Neuseeland. Nur viereinhalb Stunden Autofahrt von Dunedin, dem Konferenzort getrennt. Lockvogelangebot. Und dazu könnte ich mit diesem Angebot ja auch die Faustregel “befolgen”, die einem in Anbetracht von Flugreisen aufgedrängt wird: Je länger die Flugdistanz, desto länger sollte der Aufenthalt sein.
Alle oder nicht!
Erste durchdachte Variante: Wir fahren alle, alle “Six in a Van”. Natürlich ein Wunsch- und Traumszenario des Herzens. Dazu gab es aber ein klares NEIN. Ein Nein, weil es ja dann ein 6-facher-Fußabruck in Sachen CO2-Emissionen wäre. Ein Nein aber vor allem zu dem, was es dann tatsächlich wäre: “Alle 6 für 6 Wochen in Christchurch”.
Erstens, weil wir waren da ja schon. Ein wirklicher Anreiz für ein neues 6inaVan-Abenteuer war damit nur in Ansätzen gegeben. Zweitens wäre ich natürlich den ganzen Tag an der Uni. Das wiederum bedeutet, Stefan wäre mit den Jungs angebunden. Und nur um auf einem neuseeländischen Spielplatz herumzuhängen und auf mich zu warten, dafür muss man wahrlich nicht ans andere Ende der Welt fahren und die Jungs und Stefan aus ihrem Klagenfurter Alltag reißen.
Allein – aber nur kurz!
Ein Nein gab es aber letzten Endes auch zu dem Modell “Ich allein für 6 Wochen in Neuseeland”. In Sachen Fußabdruck sicher die Idealvariante. Doch mein Herz sagt da etwas anderes: Das kommt so gar nicht in die Tüte! Und doch habe ich an diesem Punkt wohl am längsten geknabbert. Was ist mein Maximum an Tagen, die ich mich von meinen Männern trennen würde bzw. könnte? Wo ist die Grenze? Eine Woche Konferenz? Habe ich ausprobiert, ist ok. Zwei Wochen? Puh. Länger? Sie schaffen das, ohne Frage. Ich könnte, das weiß ich, sofort in den Flieger steigen, und sie würde das hinkriegen – organisatorisch. Vom Herzen her? Ich zumindest weiß: Ich kann es nicht.Ich fliege trotzdem. Allein. Ich fahre für 10 Tage – und ich freue mich ganz unbändig. 10 Tage sind aus ökologischer Sicht sicher “zu kurz”, um es im Sinne der herumgeisternden Faustregel “je länger die Flugdistanz, desto länger sollte der Aufenthalt sein” zu rechtfertigen. Pflanze ich jetzt Bäume, um meinen “miesen Abdruck” auszugleichen?
Der Fußabdruck und sein Ausgleich?
Nein, ich pflanze keine Bäume. Aber dennoch ist mir und uns aus den Überlegungen rund um die Neuseeland Reise vieles klarer geworden.
Nachhaltigkeit ist nicht so einfach, dass ich mich mit 27 Bäumen – so die via Online-Tool errechnete ökologische “Ausgleichszahlung” der Neuseeland-Reise – quasi “moralisch freikaufe”. Das ist nämlich in meinen Augen genau das Problem angesichts der Nachhaltigkeitskommunikation auf unterschiedlichsten Produkten und Dienstleistungen. Die “inconvenient truth” ist, dass wir uns angesichts der globalen klimatischen Entwicklungen Fliegen, aber auch Autofahren oder auch jede einzelne Windel für Xaver eigentlich nicht mehr “leisten” können.
Mit den errechneten 27 Bäumen kann ich vielleicht mein schlechtes Gewissen besänftigen, genauso wie mit einem “Niedrig-Verbrauch-Auto” oder der UNICEF-Kooperation von Pampers. Dank dieser “Ablasszahlungen” sollen wir uns dann besser fühlen – tun wir das wirklich? Ich leider nicht. Für mich ist das zu einfach.
Nachhaltigkeit: Mindset statt Bewertungsschema
Je länger ich zu Nachhaltigkeit forsche, lehre und vor allem selber nachdenke und mit Stefan diskutiere, desto mehr wird mir klar: Nachhaltigkeit ist ein Mindset, keine moralinsaure Bewertungsfolie von Einzelhandlungen.
Denn noch einmal zurück zu der Nachhaltigkeitskommunikation in Medien und Werbung: Auf jedem Joghurt oder Nespresso-Kapsel-Päcken wird uns Nachhaltigkeit als moralischer Handlungsrahmen angeboten. Entweder “wenn-Du-das-kaufts-bist-Du-gut” (weil beispielsweise bio, weil free-trade label, weil nett zu den Kaffeebauern) oder “wenn-Du-das-nimmst-bist-Du-schlecht” (weil Plastik, weil nicht-bio, weil Nestlé).
Das greift meines Erachtens zu kurz. Nachhaltigkeit in meinem Verständnis muss etwas sein, was “nach-hält”, was “nach-hallt”. Und deshalb geht Handeln und auch Kommunizieren im Sinne der Nachhaltigkeit weiter.
Nachhaltigkeit, nachhaltig leben ist für mich, wenn eine Entscheidung nicht nur von Geld und Zeit abhängt. Wenn die Entscheidung auch nicht nach der Tiefe meines Fußabdrucks getroffen wird. Sondern wenn wir selber und als Familie an einem Entscheidungsprozess wachsen. Und uns selbst, unser Handeln und vor allem unseren Beitrag zu einer nachhaltiger Entwicklung genauer einschätzen können.
Nachhaltig leben – unser Mindset
Nachhaltigkeit, nachhaltig leben ist unser Mindset. WederStyle. Reisen, Abenteuer erleben, Entdecken, und das gemeinsam. Den Kindern die Weite und Tiefe der Welt, die Vielfältigkeit anderer Menschen und Kulturen zeigen, dass sie nachhaltig anfangen zu reflektieren. Mit den Kindern gemeinsam durch den Supermarkt stromern und versuchen, so viel Plastik wie möglich zu vermeiden. Und auch bei Regen mit dem Fahrrad in den Kindergarten zu fahren und zu Fuß in die Schule zu stapfen.
Unterwegs sein, beweglich sein, offen sein. Dinge mal anders machen. Den alten Zirbenschrank zum Hochbeet umfunktionieren. Auch einmal rebellieren. Und davon wieder anderen Menschen erzählen, mit diesen weiter zu diskutieren – beruflich auf (internationalen) Konferenzen, mit KollegInnen, unter FreundInnen und natürlich auf diesem Blog!
Nach der Konferenz ist vor der Konferenz
Über Nachhaltigkeit und nachhaltig leben nachzudenken heißt für mich auch, mich genauer einschätzen zu können. Ich werde weiter auf Konferenzen fliegen. Und doch Dinge anders machen. Eben nicht nur im Familienalltag. Sondern auch im beruflichen Kontext.
Erstes Beispiel: Es wird im Juni dieses Jahres noch eine Konferenz mit thematischen Nachhaltigkeitsbezug in den USA geben. In Oregon genaugenommen. Diese würde mich natürlich sehr reizen. Doch ein Langstreckenflug, eine Konferenz auf einem anderen Kontinent pro Jahr reicht. Das möchte ich zu meiner ganz persönlichen Faustregel machen.
Für Oregon bewerbe ich mich trotzdem. Im vollen Wissen, dass ich die Präsentation – sollte ich akzeptiert werden – via Skype halten werde. Danke für die vielen Anregungen in den Kommentaren zu meinem Artikel, die mich unterstützt haben, so ein Zeichen zu setzen. Auch auf die Gefahr hin, ganz aus der Konferenz rausgekickt zu werden, falls ich und das Skype-Vortrags-Angebot nicht angenommen werden. Jedenfalls wird dieser Ansatz auch unterstützt durch eine Kollegin vor Ort: Sie wird das Thema “how to share info via conferences and such without adding so much to the carbon footprint” auf die Agenda setzen (yay, IECA).